Analog und digital Hoffnung teilen

Mirja Zimmermann (39), Pfarrerin, teilt analog und digital Hoffnung: Die reformierte Theologin nimmt in ihrer Arbeit als Seelsorgerin einen Hunger nach vermehrtem Miteinander und Frieden wahr.

Interview mit Mirja Zimmermann

Die diesjährige Ökumenische Kampagne zu Hunger zeigt den Zusammenhang zwischen mangelnden Ressourcen und mangelnden Perspektiven – optisch überraschend und mit dem leicht provokativen Slogan: «Hunger frisst Zukunft».

Was verbinden Sie mit diesem Statement?

Den Slogan «Hunger frisst Zukunft» verbinde ich mit verschiedenen Gedanken. Erstmals denke ich an all jene Menschen, welche nicht genug Nahrung haben um gesund leben zu können. Besonders denke ich dabei an all die Kinder und Jugendlichen, welchen durch eine Mangelernährung ihre Zukunft verwehrt bleibt. Gesundheitliche Schäden als Folge von Hunger und in den schlimmsten Fällen sogar der Tod.

Nach meinem Schulabschluss war ich mehrere Monate in einem Kinderheim in Südafrika engagiert. Wir haben eng mit dem örtlichen Krankenhaus zusammengearbeitet, in welchem die Kinder oftmals erst aus einer Unterernährung herausgeführt werden mussten, bevor sie ins Heim kommen konnten. Noch immer erinnere ich mich an die langfristigen Folgen, mit welchen einige Kinder zu kämpfen hatten, und an die wenigen Ressourcen, welche tatsächlich für sie zur Verfügung gestanden sind.

Helfen mit Hoffnung im Kinderheim: Mirja Zimmermann in Südafrika. Das Kind steht hier zum ersten Mal selber auf!

Hunger im Süden verbindet man in erster Linie mit Armut und Existenzbedrohung. Doch auch Unter- und Mangelernährung – und damit einhergehend kaum Chancen auf Entwicklung und Potenzialentfaltung, sind Ursachen und Folgen von Hunger.

 

Was kann Hunger bei uns hier im Norden bedeuten?

Hunger in einem «klassischen» Verständnis kennen wir im Norden, besonders in der Schweiz, tatsächlich kaum mehr. Obschon es auch in unseren Breitengraden Menschen gibt, welche unter dem Existenzminimum leben müssen, leben viele von uns in der privilegierten Situation täglich mehrmals vor einem vollen Teller zu sitzen. Durchaus bekannt ist uns Hunger im Sinne einer Sehnsucht. Als Seelsorgerin stelle ich einen vermehrten Hunger nach Sinn, nach Frieden und nach einem Miteinander statt einem Gegeneinander wahr.

Sie sagen, dass Sie Hunger nach vermehrtem Miteinander wahrnehmen. Können Sie das etwas ausführen?

Sowohl in meiner Arbeit als Pfarrerin in einem Dorf im Emmental, als auch als Seelsorgerin im digitalen Raum erlebe ich es oft, dass mir Menschen erzählen, dass sie mit dem gehässigen Gegeneinander, welches leider auch aufgrund der herausfordernden letzten Jahre zugenommen und sich verstärkt hat, nicht mehr klarkommen. Dass sie sich nach einem stärkeren Miteinander sehnen. Einem Miteinander, welches nicht bedeuten muss, dass wir in allem gleicher Meinung sind. Aber einem Miteinander, in welchem wir unsere Andersartigkeit oder auch andere Meinungen stehen lassen und nicht permanent bewerten müssen.

Auch Frieden sehen Sie in einer zunehmend versehrten Welt als starke Sehnsucht/Hunger –Wie würden Sie diesen Hunger beschreiben, respektive wie nehmen Sie diesen Hunger wahr?

Gerade die jüngeren Generationen sind das erste Mal mit Kriegen in unmittelbarer Nähe konfrontiert. Unmittelbare Konflikte verunsichern und führen zu Angst. Nur Wenige konnten sich vorstellen, mit solch existenziellen Bedrohungen konfrontiert zu werden.

Doch nicht nur terroristische oder militärische Angriffe beschäftigt gerade auch die junge Generation. Es sind ebenso die Fragen rund um die Klimakrise, welche die Zukunft der Kinder und Jugendlichen zu zerstören droht. Und wie vorher schon erwähnt das ungesunde Gegeneinander. Die digitalen Entgleisungen, mit welchen Menschen teilweise konfrontiert werden. Beschimpfungen und Bedrohungen, welche durchaus auch auf die reale Wirklichkeit überschwappen und Leben bedrohen können.

All diese Herausforderungen führen zu einer Sehnsucht nach Frieden in der grossen Welt, aber auch in den eigenen kleinen Welten.  

Mirja Zimmermann mit einer jungen Konfirmandin (Photo: Jael Zimmermann)

Welche geistige und seelische Nahrung bietet «die Kirche» in Ihrem Verständnis?

Die Kirchen bieten verschiedene Angebote, bei welchen geistig und seelisch aufgetankt werden kann. Ganz grundsätzlich denke ich, dass besonders auch die aufsuchende Seelsorge einen wichtigen Teil dazu beitragen darf, Menschen in ihrem Suchen nach Frieden zu begleiten. Nicht zuletzt bin ich überzeugt, dass wir auch als Kirchen und als in Kirchen arbeitende Menschen einen Auftrag haben in der digitalen Welt unterwegs und in den verschiedenen Sozialen Netzwerken sichtbar und ansprechbar zu sein.
Wir haben die starke Botschaft von Jesus, welcher uns zeigt, wie friedliches Leben gelingen könnte. Die gute Nachricht, dass Gott uns liebt, so wie wir sind. Mit all unseren Ecken und Kanten, mit all unseren Narben und unseren Fragen. Die hoffnungsvolle Message, dass die Ruach, Gottes Geist, uns begleitet und wir auch durch dunkle Täler und tiefes Wasser nicht alleine gehen müssen.

Hunger ist ja auch ein positiv besetztes Wort: Wissensdurst, Neugier oder sogar der dynamisierende Hunger nach Anerkennung – wann droht es, ins Negative zu kippen? In Geltungsdrang, Gier, Unersättlichkeit?

 

Welche nährende Wirkung kann vielleicht auch Reduktion und Verzicht haben?

Wenn das «Ich» das «Du» oder das «Wir» komplett verdrängt, kippt es ins Negative.
Eine grosse Errungenschaft unserer Gesellschaft ist es durchaus, dass wir gelernt haben, auch uns selber achtzugeben und uns nicht bis aufs Äusserste zu verausgaben. Wenn dieses Learning jedoch in eine Ich-Bezogenheit kippt, in welcher es ausschliesslich um sich selbst geht, dann wird es toxisch und somit ungesund. Eine Gesellschaft kann nur dann funktionieren und friedlich unterwegs sein, wenn die einzelnen Menschen als ein gemeinsames wir auch füreinander da sind. Miteinander an einem Strang ziehen und gemeinsam tragen helfen. Schliesslich auch dort für andere hoffen, wo die Hoffnung nicht mehr möglich zu sein scheint.

 

Herzlichen Dank für Ihre Gedanken, die Inspiration und das Interview

Mirja Zimmermann im digitalen Interview