In Indonesien wurden in den vergangenen Jahrzehnten grosse Ölpalm-Plantagen auf riesigen Landflächen angelegt. Das benötigte Land wird oft der lokalen Bevölkerung weggenommen. Kartini Samon von der indonesischen Partnerorganisation Grain ist während der Ökumenischen Kampagne in der Schweiz zu Besuch, um auf das Thema Land Grabbing aufmerksam zu machen. im Interview erläutert sie die Folgen für Mensch und Umwelt und spricht über Herausforderungen und Chancen in ihrer Heimat.
Kartini Samon, was ist das Problem mit Ölpalm-Plantagen in Indonesien?
Ölpalm-Plantagen gibt es in Indonesien seit über 100 Jahren. Das Problem ist, dass es heute schlicht zu viele davon gibt. Die vergangenen 30 Jahre haben eine derart rasante Expansion der Plantagen über den gesamten Archipel hervorgebracht, dass heute eine Gesamtfläche von über elf Millionen Hektaren mit Ölpalmen bepflanzt ist. Diese Monokulturen zerstören den Boden, beanspruchen das vorhandene Wasser und bedrohen die Existenz der indigenen Bevölkerung und Gemeinschaften.
Land Grabbing* kann ganze Familien von ihrem Land vertreiben. Sind grossstädtische Slums ihre einzige Alternative?
Es ist gefährlich zu denken, Slums wären eine Alternative. Meiner Meinung nach gibt es nur eine wirkliche Alternative: Um das Recht auf das Land zu kämpfen! Landkonflikte stehen in Indonesien an der Tagesordnung – weil die Menschen sich wehren. Sie sehen die Konfrontation als einzige Chance, ihre letzte Möglichkeit. Klar, nicht immer endet die Auseinandersetzung mit einem Sieg, viele Leute werden umgesiedelt. Aber die Menschen in Indonesien wehren sich nach Kräften. Land Grabbing lässt sich nicht rechtfertigen.
Einzelne Menschen finden Arbeit in den Plantagen oder bei der Palmöl-Verarbeitung – für viele bleibt es bei den Versprechungen. Führt dies zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaften?
Ja, dies führt vielfach zu Spannungen innerhalb von Familien und Gemeinschaften. Oft werden aber ohnehin externe Arbeitskräfte angestellt – die lokalen Leute gehen leer aus. Ein grosser Teil dieser Beschäftigten sind im Taglohn oder saisonal angestellt. Das bedeutet für sie wenig bis gar keine soziale Sicherheit und sehr tiefe Löhne. Besonders Erntearbeiter sind nur im Stundenlohn und häufig im Akkord angestellt.
Die indonesische Regierung ruft Investitionen in grosse Plantagen als Mittel zur Entwicklung aus. Was sind deine Gedanken dazu?
Regierungen in verschiedenen Ländern verstehen Entwicklung meist ausschliesslich als wirtschaftliches Wachstum. Sie messen Wachstum anhand der Höhe der Investitionen oder dem Handelsvolumen und lassen dabei die ökologische und soziale Dimension völlig ausser Acht. Wenn man die Konsequenzen für Mensch und Umwelt berücksichtigt, sind Investitionen in grosse Plantagen das pure Gegenteil von Entwicklung.
2004 wurde der Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl – Roundtable on Sustainable Palm Oil, kurz RSPO- lanciert. Eine gute Sache?
Wenn man berücksichtigt, dass Palmöl in Indonesien grossindustriell auf der Basis von Monokulturen hergestellt wird, ist für mich gar nichts nachhaltig. Meines Erachtens – und dies ist auch die offizielle Stellung von Grain – sind RSPO und andere Mechanismen zur Förderung verantwortungsvoller Investitionen in Ackerland nur ein Vorwand, damit Investoren und Konzerne weiterhin freie Hand haben um «business as usual» zu betreiben.
Zwar reichen Organisationen oder lokale Gemeinschaften in Indonesien immer wieder Beschwerden beim Runden Tisch ein, gleichzeitig kam es aber noch nie zu einem für die Beschwerdeführenden zufriedenstellenden Ausgang. Dies ist sehr besorgniserregend, da der Beschwerde-Mechanismus die letzte Instanz ist, um Probleme anzugehen, die beim Zertifikationsprozess nicht berücksichtigt werden. Wenn die Erfolgsaussicht einer Beschwerde gegen Null tendiert, was ist dann der Nutzen der Zertifizierung?
Ist die indonesische Bevölkerung gegenüber dem Thema Land Grabbing sensibilisiert?
Ja, denn von Land Grabbing sind die Menschen an vielen Orten unter verschiedenen Vorzeichen betroffen. Neben den ländlichen Gebieten, wo Land zugunsten landwirtschaftlicher Grossprojekte verloren geht, sind auch Küstenregionen betroffen. Durch Aufschütten grosser Meeresflächen entstehen teils umstrittene neue Landflächen. In den Städten ist Gentrifizierung ein verbreitetes Problem. Dabei werden weniger zahlungskräftige Bürgerinnen und Bürger durch Attraktivitätssteigerung aus bestimmten städtischen Vierteln vertrieben. Es geht also nicht bloss um kontroverse Diskussionen, es spielt sich hier vielmehr ein echter Kampf um Lebensraum ab. «Regierungen in verschiedenen Ländern verstehen Entwicklung meist ausschliesslich als wirtschaftliches Wachstum.»
Du lebst in Jakarta, eine der grössten Städte der Welt. Bei deiner Arbeit geht es um Kleinbauern und soziale Bewegungen in ländlichen Gebieten. Wie passt das zusammen?
Wir dürfen die Beziehung zwischen Land und Stadt nicht vergessen. Auch Menschen in den Städten sind auf genügend und gesunde Nahrungsmittel angewiesen. Nur wenn wir unserer lokalen Landwirtschaft und den lokalen Märkten Sorge tragen, werden wir dies auch langfristig gewährleisten können. Deshalb ist es umso wichtiger, das Bewusstsein zu fördern für die Herkunft unserer Nahrungsmittel, wer sie wie herstellt und welche gesundheitlichen Auswirkungen die Ernährung auf uns Menschen hat.
Du hast in Europa studiert und verschiedene Kulturen kennengelernt. Was in deiner Heimat Indonesien bereitet dir am meisten Sorgen?
Indonesien ist mit einer Bevölkerung von rund 250 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern der viertbevölkerungsreichste Staat der Welt. Genauso gross ist unsere kulturelle Vielfalt; über 30 grössere ethnische Gruppen sind auf indonesischem Boden beheimatet. Unsere Biodiversität ist ebenfalls einzigartig – wir besitzen unter anderem einen der artenreichsten noch bestehenden Regenwälder. Leider haben wir auch viele Herausforderungen. Was mich am meisten beunruhigt, ist die steigende Gewaltbereitschaft seitens des Militärs und religiöser Fundamentalisten. Meistens geht es dabei letztendlich um Macht und Geld.
Wie stellt sich Grain eine nachhaltige Landwirtschaft vor?
Wir stellen uns ein landwirtschaftliches System vor, das von lokalen Gemeinschaften bewirtschaftet wird, reich ist an Biodiversität und wo Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sowie indigene Gruppen Zugang und Kontrolle über Land und Wasser haben. In diesem System haben sie das Recht, ihr eigenes, lokales Saatgut anzupflanzen, zu tauschen und sind nicht von chemischen Düngern und Pestiziden abhängig. Damit wäre sichergestellt, dass gesunde und sichere Nahrungsmittel lokal produziert werden.
Text: Fabian Weidmann